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Builder.ai: Der jähe Absturz des KI-Startups – Vom Milliarden-Unicorn zur Pleite-Saga

London/Cupertino – Die Tech-Welt ist wieder einmal um eine schillernde Figur ärmer – oder zumindest um ein Startup, das den großen KI-Traum mit Pauken und Trompeten verkündete. Builder.ai, das einst mit über 450 Millionen US-Dollar von Giganten wie Microsoft und SoftBank gefütterte KI-Startup, das versprach, App-Entwicklung so einfach wie Pizzabestellen zu machen, ist dramatisch kollabiert. Jüngsten Berichten zufolge wurde das Unternehmen nach dem Abzug von 37 Millionen Dollar durch einen Investor zahlungsunfähig, was zum sofortigen Konkurs führte. Ein tiefer Fall für ein Unternehmen, das einst mit über einer Milliarde Dollar bewertet wurde und als Hoffnungsträger im Bereich der KI-gestützten Softwareentwicklung galt. Doch wie konnte es so weit kommen? War es reiner KI-Hype, Management-Fehler oder gar bewusste Täuschung? Nerdswire.de taucht tief ein in die Trümmer einer einstigen KI-Hoffnung.

Builder.ai, gegründet von Sachin Dev Duggal, trat mit einer kühnen Vision an: Die Demokratisierung der Softwareentwicklung. Jeder, so das Versprechen, sollte ohne Programmierkenntnisse komplexe Apps erstellen können. Das Herzstück sollte eine künstliche Intelligenz namens „Natasha“ sein, die als virtuelle Produktmanagerin fungierte und Kunden durch den Design- und Entwicklungsprozess führte. Die KI sollte dann, so die Marketingbotschaft, einen Großteil der App aus wiederverwendbaren Code-Bausteinen zusammensetzen, unterstützt von einem globalen Netzwerk menschlicher Entwickler für die Feinarbeiten.

Die Idee klang revolutionär und traf den Nerv der Zeit. Investoren rissen sich um Anteile. Über 450 Millionen Dollar flossen in mehreren Runden in das Londoner Unternehmen, darunter von Schwergewichten wie Microsofts M12-Fond, dem SoftBank Vision Fund 2 und dem Staatsfonds von Katar (QIA). Die Bewertung schoss auf über eine Milliarde US-Dollar – Builder.ai war ein „Unicorn“. Doch hinter der glänzenden Fassade der KI-Magie schienen sich schon früh Risse abzuzeichnen.

Schon länger gab es Gerüchte und Berichte, die die tatsächlichen KI-Fähigkeiten von Builder.ai in Frage stellten. War „Natasha“ wirklich so intelligent, wie behauptet? Oder war ein Großteil der Arbeit doch das Ergebnis menschlicher Koordination und Fleißarbeit, geschickt verpackt in ein KI-Narrativ? Die Skepsis wuchs, als Details über die massive Abhängigkeit von menschlichen Entwicklern in Indien und anderen Ländern bekannt wurden.

Bereits 2019 gab es einen Vorfall, bei dem Builder.ai beschuldigt wurde, von Menschen erstellte Software als KI-generiert ausgegeben zu haben. Spätere investigative Berichte, unter anderem von Wallstreet Journal im Juni 2023, legten nahe, dass das Ausmaß der menschlichen Intervention systematisch heruntergespielt wurde. Die KI, so der Verdacht, diente eher als ausgeklügeltes Projektmanagement-Tool zur Koordination der Heerscharen von Entwicklern denn als eigenständige Code-generierende Intelligenz. Bis zu 80% KI-Anteil am Code – diese Zahl wirkte zunehmend wie ein Marketing-Gag in einer Ära des „AI Washing“, in der jedes Startup versuchte, sich mit dem Label „Künstliche Intelligenz“ zu schmücken, um Investorengelder anzuziehen.

Der (vermeintliche) KI-Zauber und die harten Zahlen

Technisch gesehen bewegte sich Builder.ai im Segment der No-Code/Low-Code-Plattformen, die tatsächlich darauf abzielen, Softwareentwicklung zu vereinfachen. Der entscheidende Unterschied und das Verkaufsargument war jedoch die prominente Rolle der „KI“. Wenn diese KI aber primär aus menschlicher Arbeitskraft bestand, die als Algorithmus ausgegeben wurde – ein klassisches „Wizard of Oz“-Szenario – dann stimmte das gesamte Geschäftsmodell und die damit verbundene Bewertung nicht mehr. Ein Heer von Entwicklern zu koordinieren ist ein Servicegeschäft, skalierbar, aber mit anderen Margen und Wachstumspotenzialen als ein echtes, KI-getriebenes Software-as-a-Service (SaaS)-Produkt.

Die finanziellen Probleme spitzten sich Berichten zufolge im Frühjahr 2025 zu. Ein nicht näher genannter Investor soll 37 Millionen Dollar von den Konten des Unternehmens abgezogen haben, was Builder.ai mit lediglich 5 Millionen Dollar an liquiden Mitteln zurückließ. Dies löste eine Kaskade aus: Die vorrangigen Kreditgeber stuften das Unternehmen als säumig ein. Im März 2025 hatte Manpreet Ratia bereits den Gründer Sachin Dev Duggal als CEO abgelöst – offenbar ein letzter verzweifelter Versuch, das Ruder herumzureißen. Doch es war zu spät. Ratia blieb Berichten zufolge nichts anderes übrig, als das Startup zu schließen und Insolvenz anzumelden.

Sachin Dev Duggal: Charismatischer Gründer mit kontroverser Vergangenheit

Sachin Dev Duggal, das Gesicht von Builder.ai, galt als charismatischer Verkäufer und Visionär. Er verstand es meisterhaft, Investoren und Kunden für seine Ideen zu begeistern. Doch seine Vergangenheit war nicht ohne Schatten. Wie Forbes India detailliert berichtete, war Duggal in Indien in einen komplexen Geldwäschefall verwickelt, der sich um das Unternehmen Optic Loto-Matic Solutions und dessen Verbindungen zu G-Tech Corporation in den Jahren 2008-2012 drehte. Duggal war Direktor einer der beschuldigten Firmen. Obwohl er selbst nicht wegen Geldwäsche verurteilt wurde (in einem Aspekt des Falls wurde er entlastet), warf der Fall einen langen Schatten und warf Fragen über seine geschäftlichen Praktiken auf, die im Lichte der späteren Probleme bei Builder.ai neues Gewicht bekamen.

Die Diskrepanz zwischen dem strahlenden Auftreten und den ernsten Vorwürfen aus der Vergangenheit, gepaart mit den wachsenden Zweifeln an der Substanz der KI-Technologie, zeichnen ein komplexes Bild. Es ist die Geschichte eines Startups, das möglicherweise zu schnell, zu hoch hinauswollte und dabei die Grenzen zwischen ambitionierter Vision, aggressivem Marketing und handfester Realität verschwimmen ließ.

Investoren-Dämmerung und die Lehren aus dem Hype

Der Fall Builder.ai ist ein Lehrstück über die Dynamiken im Venture-Capital-getriebenen Startup-Ökosystem, insbesondere im aktuellen KI-Goldrausch. Die Beteiligung von Top-Investoren wie SoftBank und Microsoft zeigt, wie überzeugend eine gut präsentierte Vision sein kann, selbst wenn die technologische Grundlage möglicherweise nicht dem Hype entspricht. Es wirft erneut die Frage auf, wie tiefgehend die „Due Diligence“ – die sorgfältige Prüfung – bei solchen Investments wirklich ist, oder ob die Angst, den nächsten großen KI-Trend zu verpassen (FOMO – Fear Of Missing Out), manchmal zu vorschnellen Entscheidungen führt.

Für die KI-Branche insgesamt ist der Fall ein weiterer Weckruf. „AI Washing“, also das Etikettieren von Produkten oder Dienstleistungen mit „KI“, obwohl nur wenig oder gar keine echte künstliche Intelligenz dahintersteckt, untergräbt das Vertrauen in die gesamte Technologie. Es schadet nicht nur den betrogenen Investoren und Kunden, sondern auch den Unternehmen, die tatsächlich an echter, bahnbrechender KI-Forschung und -Entwicklung arbeiten. Die Unterscheidung zwischen echter Innovation und heißer Luft wird zur zentralen Herausforderung.

Fazit für Nerds: Mehr als nur ein weiteres gescheitertes Startup

Der Kollaps von Builder.ai ist mehr als nur die Geschichte eines weiteren geplatzten Startup-Traums. Er berührt Kernfragen, die für jeden Tech-Interessierten relevant sind:

  • Technologische Transparenz: Wie können Anwender und Investoren die tatsächlichen Fähigkeiten einer KI-Lösung überprüfen? Welche Standards brauchen wir für die Kennzeichnung von KI-Systemen?
  • Die Rolle menschlicher Arbeit in der KI-Ära: Viele KI-Systeme benötigen weiterhin menschliche Daten, menschliches Training und menschliche Überwachung („Human-in-the-Loop“). Wo verläuft die Grenze zwischen echter KI-Automatisierung und einem clever orchestrierten Service-Geschäft, das sich als KI tarnt?
  • Startup-Kultur und Ethik: Der Druck, schnell zu wachsen und eine „revolutionäre“ Geschichte zu erzählen, kann Gründer in Versuchung führen, die Realität zu dehnen. Welche Verantwortung tragen Gründer und Investoren hier?
  • Kritische Bewertung von Hypes: Jeder technologische Hype, sei es Blockchain, Metaverse oder eben KI, bringt Trittbrettfahrer und überzogene Versprechungen mit sich. Eine gesunde Skepsis und fundierte technische Analyse sind unerlässlich.

Das Debakel um Builder.ai mag für die Beteiligten schmerzhaft sein, aber es liefert wertvolle Lektionen für die gesamte Tech-Branche. Es unterstreicht die Notwendigkeit von Ehrlichkeit, technischer Substanz und einer realistischen Erwartungshaltung – gerade dann, wenn eine Technologie so vielversprechend und potenziell transformativ ist wie die Künstliche Intelligenz.

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