Die Vision ist grandios: eine nahezu unerschöpfliche, saubere und sichere Energiequelle, die die Menschheit von fossilen Brennstoffen unabhängig macht und den Klimawandel eindämmt. Die Kernfusion, der Prozess, der unsere Sonne und die Sterne antreibt, verspricht genau das. Seit Jahrzehnten arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure weltweit daran, dieses stellare Feuer auf der Erde zu zähmen und in kontrollierter Form nutzbar zu machen. Eines der Leuchtturmprojekte auf diesem ambitionierten Weg ist der experimentelle Fusionsreaktor Wendelstein 7-X am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald. Jüngste Erfolge dieser Anlage haben erneut die Hoffnung genährt, dass die Vision Realität werden könnte, doch der Weg dorthin bleibt gespickt mit enormen wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen.
Das Prinzip der Kernfusion: Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen
Im Gegensatz zur Kernspaltung, die in heutigen Atomkraftwerken genutzt wird und bei der schwere Atomkerne wie Uran gespalten werden, basiert die Kernfusion auf der Verschmelzung leichter Atomkerne. Die gängigste und für irdische Fusionsreaktoren vielversprechendste Reaktion ist die zwischen den Wasserstoffisotopen Deuterium (D) und Tritium (T). Deuterium, auch schwerer Wasserstoff genannt, besteht aus einem Proton und einem Neutron im Kern und ist in großen Mengen im Meerwasser vorhanden. Tritium, mit einem Proton und zwei Neutronen, ist ein radioaktives Isotop mit einer relativ kurzen Halbwertszeit von etwa 12,3 Jahren und kommt in der Natur nur in Spuren vor. Es muss daher in zukünftigen Fusionskraftwerken direkt im Reaktor aus Lithium „erbrütet“ werden, das ebenfalls reichlich vorhanden ist.
Damit Deuterium- und Tritiumkerne fusionieren können, müssen sie ihre gegenseitige elektrostatische Abstoßung überwinden. Dies erfordert extrem hohe Temperaturen – typischerweise über 100 Millionen Grad Celsius, also mehr als das Sechsfache der Temperatur im Kern der Sonne. Bei solch extremen Temperaturen existiert Materie nicht mehr als fest, flüssig oder gasförmig, sondern als Plasma: ein vollständig ionisiertes Gas, in dem die Elektronen von den Atomkernen getrennt sind. Dieses superheiße Plasma muss nicht nur erzeugt, sondern auch über eine ausreichend lange Zeit eingeschlossen und stabil gehalten werden, damit genügend Fusionsreaktionen stattfinden können, um netto Energie zu gewinnen. Die Bedingungen für eine selbsterhaltende, „brennende“ Fusion werden durch das sogenannte Lawson-Kriterium beschrieben, das eine Mindestkombination aus Plasmadichte, Temperatur und Energieeinschlusszeit fordert.
Die Fusionsreaktion von Deuterium und Tritium (D-T-Fusion) erzeugt einen Heliumkern (ein Alphateilchen) und ein hochenergetisches Neutron:
D + T → 4He (3,5 MeV) + n (14,1 MeV)
Die freigesetzte Energie, die sich in der kinetischen Energie der Reaktionsprodukte manifestiert, ist enorm. Die Alphateilchen verbleiben aufgrund ihrer elektrischen Ladung im Plasma und tragen zu dessen weiterer Aufheizung bei, was für ein brennendes Plasma essenziell ist. Die elektrisch neutralen Neutronen hingegen verlassen das Plasma und ihre Energie muss in der Reaktorwand, dem sogenannten Blanket, in Wärme umgewandelt werden. Diese Wärme wird dann genutzt, um Wasser zu verdampfen und über Turbinen und Generatoren Strom zu erzeugen, ähnlich wie in konventionellen Wärmekraftwerken.
Die Vorteile der Fusionsenergie liegen auf der Hand:
- Brennstoffverfügbarkeit: Deuterium ist quasi unbegrenzt in den Ozeanen vorhanden. Lithium zur Tritiumerzeugung ist ebenfalls weit verbreitet.
- Sicherheit: Eine unkontrollierte Kettenreaktion wie bei der Kernspaltung ist physikalisch unmöglich. Bei einer Störung erlischt das Plasma von selbst innerhalb von Sekunden. Es gibt keine langlebigen hochradioaktiven Abfälle wie bei der Spaltung; die Aktivierungsprodukte in den Strukturmaterialien des Reaktors haben deutlich kürzere Halbwertszeiten.
- Umweltfreundlichkeit: Bei der Fusion entstehen keine Treibhausgase oder andere luftverschmutzende Emissionen. Das Endprodukt Helium ist ein Edelgas.
- Keine Proliferationsgefahr: Fusionsmaterialien sind nicht für die Herstellung von Kernwaffen geeignet.
Trotz dieser immensen Vorteile ist die technische Realisierung eines Fusionskraftwerks eine der komplexesten wissenschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit.
Zwei Hauptkonzepte für den Plasmaeinschluss: Tokamak und Stellarator
Um das extrem heiße Plasma von den Materialwänden des Reaktorgefäßes fernzuhalten, werden hauptsächlich zwei Konzepte des magnetischen Einschlusses verfolgt: der Tokamak und der Stellarator. Beide nutzen starke Magnetfelder, um die geladenen Teilchen des Plasmas auf spiralförmigen Bahnen zu führen und so einzuschließen.
Der Tokamak (eine russische Abkürzung für „toroidale Kammer mit Magnetspulen“) hat eine donutförmige (toroidale) Vakuumkammer. Das Magnetfeld wird durch eine Kombination aus äußeren Spulen und einem starken, im Plasma selbst fließenden Strom erzeugt. Dieser Plasmastrom ist sowohl für den Einschluss als auch für die Aufheizung des Plasmas wichtig, macht den Tokamak aber anfällig für bestimmte Instabilitäten und erlaubt prinzipiell keinen kontinuierlichen Betrieb ohne zusätzliche Stromtriebmechanismen.
Der Stellarator, wie Wendelstein 7-X, erzeugt das gesamte benötigte Magnetfeld ausschließlich durch ein komplexes System von externen, nicht-planaren (dreidimensional geformten) Spulen. Dies macht den Plasmastrom überflüssig und ermöglicht von Natur aus einen Dauerbetrieb. Die Herausforderung bei Stellaratoren liegt in der extrem komplizierten Geometrie der Spulen und des Magnetfeldes, die eine sehr präzise Fertigung und Justierung erfordert. Lange Zeit galten Stellaratoren als die kompliziertere und weniger fortgeschrittene Variante, doch moderne Computer-Simulationen und Fertigungstechniken haben zu einer Renaissance dieses Konzepts geführt.
Wendelstein 7-X: Ein optimierter Stellarator setzt neue Maßstäbe
Wendelstein 7-X (W7-X) ist der weltweit größte und modernste Fusionsreaktor vom Typ Stellarator. Sein Design basiert auf jahrzehntelanger Forschung und ausgefeilten numerischen Optimierungsrechnungen mit dem Ziel, die Nachteile früherer Stellarator-Konzepte, wie hohe Teilchen- und Energieverluste, zu minimieren. Das Herzstück von W7-X ist ein System aus 50 nicht-planaren und 20 planaren supraleitenden Magnetspulen, die ein hochkomplexes, aber sehr stabiles Magnetfeld erzeugen. Diese Spulen müssen auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (ca. 4 Kelvin oder -269 Grad Celsius) gekühlt werden, um supraleitend zu werden und die enormen Ströme verlustfrei führen zu können, die für die Erzeugung der starken Magnetfelder notwendig sind.
Die Inbetriebnahme von Wendelstein 7-X erfolgte in mehreren Phasen. Nach ersten Experimenten mit einem uncooled Divertor, der die Wärme- und Teilchenlast aus dem Plasma aufnimmt, wurde die Anlage umfassend aufgerüstet. Ein wichtiger Schritt war die Installation eines wassergekühlten Divertorsystems und einer verbesserten Wandverkleidung aus Kohlenstofffaser-verstärktem Kohlenstoff (CFC) und Graphitkacheln. Diese Komponenten sind entscheidend, um längere Plasmaentladungen bei höheren Heizleistungen zu ermöglichen.
Kürzlich konnte Wendelstein 7-X beeindruckende Erfolge verzeichnen:
- Hohe Plasmaenergien und -temperaturen: Es wurden Plasmaenergien von über einem Megajoule erreicht, und die Ionentemperaturen stiegen auf Werte von mehreren zehn Millionen Grad Celsius.
- Verlängerte Entladungsdauern: Mit den gekühlten Hochleistungskomponenten konnten Entladungen von bis zu acht Minuten Dauer bei guter Plasmastabilität realisiert werden. Das Ziel sind Entladungen von bis zu 30 Minuten, um die Dauerbetriebsfähigkeit des Stellarator-Prinzips zu demonstrieren.
- Verbesserter Energieeinschluss: Das sogenannte Tripelprodukt – ein Maß für die Effizienz eines Fusionsplasmas, bestehend aus Dichte, Temperatur und Energieeinschlusszeit – erreichte Rekordwerte für Stellaratoren und nähert sich den Werten, die für ein energielieferndes Plasma benötigt werden. Insbesondere wurde gezeigt, dass die aufwändige Optimierung des Magnetfeldes von W7-X tatsächlich zu den erwarteten geringen neoklassischen Energieverlusten führt.
- Kontrolle von Verunreinigungen: Der Divertor spielt eine Schlüsselrolle bei der Abfuhr von Helium-Asche und Verunreinigungen, die vom Rand des Plasmas oder von den Wänden stammen und das Plasma kühlen könnten. Die Experimente zeigen, dass der W7-X Divertor diese Aufgabe effektiv erfüllt.
Diese Ergebnisse sind von großer Bedeutung, da sie zeigen, dass das Stellarator-Konzept eine vielversprechende Alternative oder Ergänzung zum Tokamak auf dem Weg zu einem Fusionskraftwerk darstellt. Die Fähigkeit zum Dauerbetrieb ist ein potenziell großer Vorteil gegenüber gepulsten Tokamak-Systemen.
Die globalen Anstrengungen: ITER und darüber hinaus
Wendelstein 7-X ist ein reines Forschungsexperiment und nicht darauf ausgelegt, selbst Energie zu erzeugen. Es dient dazu, die physikalischen Grundlagen zu erforschen und die Technologien für zukünftige Fusionskraftwerke zu entwickeln. Parallel zu W7-X ist das mit Abstand größte internationale Fusionsprojekt der Tokamak ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor), der derzeit in Cadarache, Südfrankreich, gebaut wird. An ITER sind China, die Europäische Union, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA beteiligt.
ITER soll erstmals zeigen, dass es möglich ist, mehr Fusionsleistung zu erzeugen, als zum Heizen des Plasmas benötigt wird (ein sogenannter Q-Faktor von mindestens 10, was bedeutet, dass 500 MW Fusionsleistung bei 50 MW Heizleistung erzeugt werden). ITER wird ebenfalls mit Deuterium und Tritium betrieben werden und wichtige Erkenntnisse für das Design und den Betrieb zukünftiger Demonstrationskraftwerke (DEMO) liefern. DEMO-Reaktoren sollen dann tatsächlich Strom ins Netz einspeisen und die kommerzielle Machbarkeit der Fusionsenergie demonstrieren. Es wird erwartet, dass die Erkenntnisse sowohl aus ITER als auch aus Stellarator-Projekten wie W7-X in das Design von DEMO einfließen werden.
Neben diesen Großprojekten gibt es weltweit eine Vielzahl kleinerer Experimente und eine wachsende Zahl von privaten Unternehmen, die mit innovativen Ansätzen und oft aggressiven Zeitplänen ebenfalls das Ziel der Fusionsenergie verfolgen. Diese „Fusion Start-ups“ erkunden alternative Magnetfeldkonfigurationen, kompaktere Designs oder neuartige Heizmethoden und tragen zur Dynamik und Vielfalt in der Fusionsforschung bei.
Herausforderungen auf dem Weg zum Fusionskraftwerk
Trotz der beeindruckenden Fortschritte bleiben erhebliche Hürden auf dem Weg zu kommerziellen Fusionskraftwerken bestehen:
- Materialwissenschaft: Die Materialien, die der innersten Wand eines Fusionsreaktors (der „ersten Wand“ und dem Divertor) zugewandt sind, müssen extremen Bedingungen standhalten: hohe Temperaturen, intensive Neutronenstrahlung (im Fall von D-T-Reaktoren) und Plasmateilchenbeschuss. Die Neutronenstrahlung kann Materialien verspröden und radioaktiv aktivieren. Die Entwicklung geeigneter, widerstandsfähiger und aktivierungsarmer Materialien ist eine der größten Herausforderungen.
- Tritium-Management: Tritium ist radioaktiv und muss sicher gehandhabt werden. Zukünftige Kraftwerke müssen ihr eigenes Tritium aus Lithium erbrüten, was im sogenannten Blanket geschieht, das das Plasmagefäß umgibt. Die Effizienz dieses Brutprozesses und die Rückgewinnung des Tritiums sind technologisch anspruchsvoll.
- Hitzeabfuhr: Die Abfuhr der enormen Wärmelasten, insbesondere an den Divertorplatten, wo das Plasma gezielt auf die Wand trifft, ist eine kritische Aufgabe. Es werden Wärmeflussdichten erwartet, die mit denen auf der Sonnenoberfläche vergleichbar sind.
- Plasma-Stabilität und -Kontrolle: Obwohl große Fortschritte erzielt wurden, ist die vollständige Kontrolle über das komplexe Verhalten des Plasmas, einschließlich der Vermeidung oder Abschwächung von Instabilitäten, weiterhin Gegenstand intensiver Forschung.
- Supraleitende Magnete: Der Bau und Betrieb der riesigen und komplexen supraleitenden Magnetspulen ist technologisch sehr aufwendig und kostspielig.
- Wirtschaftlichkeit: Letztendlich muss ein Fusionskraftwerk nicht nur technisch funktionieren, sondern auch wirtschaftlich wettbewerbsfähig Strom produzieren können. Die hohen Investitionskosten für Fusionsreaktoren sind hierbei ein wichtiger Faktor.
Fazit und Ausblick
Die Kernfusion birgt das Potenzial, die globale Energielandschaft nachhaltig zu verändern. Die jüngsten Erfolge von Wendelstein 7-X in Greifswald haben gezeigt, dass das Stellarator-Prinzip eine ernstzunehmende Option für zukünftige Kraftwerke ist und wichtige Beiträge zum Verständnis der komplexen Plasmaphysik liefert. Gleichzeitig treibt das internationale Großprojekt ITER die Tokamak-Linie entscheidend voran. Der Weg zur kommerziellen Nutzung der Fusionsenergie ist jedoch noch lang und erfordert weiterhin erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie internationale Zusammenarbeit. Experten gehen davon aus, dass erste Demonstrationskraftwerke, die Strom ins Netz einspeisen, frühestens in den 2050er Jahren Realität werden könnten. Angesichts der drängenden Herausforderungen des Klimawandels und des steigenden globalen Energiebedarfs ist die Forschung an der Kernfusion jedoch eine Investition in eine potenziell transformative Zukunftstechnologie. Die Sonne auf Erden zu zünden, bleibt eines der größten und faszinierendsten wissenschaftlichen Abenteuer der Menschheit. Die Fortschritte, so mühsam sie im Detail auch sein mögen, geben Anlass zu berechtigtem Optimismus, dass diese Vision eines Tages Wirklichkeit wird.
Quelle: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik – Wendelstein 7-X