Ohrid (dpa) – Nach zwölfstündigen Verhandlungsmarathons im nordmazedonischen Ohrid haben die höchsten Vertreter Serbiens und des Kosovo deutliche Fortschritte erzielt. „Wir haben eine Einigung“, sagte EU-Außenbeauftragter Josep Borrell gegenüber Reportern.
Der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der kosovarische Premierminister Albin Kurti hatten zuvor ein neues Abkommen ausgehandelt, das die Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Balkanstaaten gründlich regeln würde. Als Vermittler fungierten Borrell und der EU-Sondergesandte für den Balkan, Miroslav Lajčak.
Das heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo trennte sich 1999 mit Hilfe der NATO von Serbien und erklärte 2008 seine Unabhängigkeit. Serbien hat dies bis heute nicht anerkannt.
Gemäß dem geplanten Abkommen wird Belgrad den Kosovo nicht völkerrechtlich anerkennen, sondern die Staatlichkeit seiner ehemaligen Provinz anerkennen. Insbesondere sollte es kosovarische Pässe, Nummernschilder und Zolldokumente anerkennen. Kosovo sollte die Rechte der serbischen Volksgruppe im Land institutionell sicherstellen.
Vučić: Ich habe heute nichts unterschrieben
Beim ersten Treffen am 27. Februar in Brüssel stimmten beide Seiten dem von der EU auf Basis eines deutsch-französischen Vorschlags vorgelegten und von den USA unterstützten Entwurf eines Abkommens grundsätzlich mündlich zu. Am Samstag ging es um konkrete Fristen aus der Anlage zum Abkommen, um dessen Punkte zu verwirklichen.
Wie schon in Brüssel wollte Vučić die Vereinbarung auch diesmal nicht unterschreiben. „Das Abkommen und sein Nachtrag gelten als angenommen“, sagte Borrell nach Beendigung der Gespräche. Gleichzeitig räumte er ein, dass beide Seiten den „ehrgeizigeren Vorstellungen“ des EU-Vermittlers nicht gefolgt seien. Inhaltliche Differenzen sei er nicht eingegangen. Die Arbeit werde fortgesetzt, „bis eine umfassende Einigung erzielt wird“, fügte er hinzu.
Ich habe heute nichts unterschrieben, sagte Vučić gegenüber Reportern in Ohrid. „Jeder von uns hat auf unterschiedliche Weise gezeigt, wo für uns die roten Linien sind.“ Die Gesprächsatmosphäre bezeichnete er als „konstruktiv“. Für einen serbischen Nationalisten stellt jedes Aufweichen der harschen Haltung gegenüber Pristina ein politisches Risiko dar. Rechtsextreme in Serbien haben mit „heißen“ Protesten gedroht, falls Vučić in Ohrid „kapituliert“.
Kurti hingegen sieht sich dem Druck der albanischen Bevölkerung und der Wählerschaft im Kosovo ausgesetzt, die sich weigern, der serbischen Gemeinschaft Zugeständnisse zu machen. Artikel 7 des Abkommens sieht jedoch vor, dass Serben im Kosovo das Recht auf „ein angemessenes Maß an unabhängiger Regelung ihrer Angelegenheiten“ haben. Borrell sagte, Pristina habe sich nun verpflichtet, diesen Punkt unverzüglich umzusetzen.
Moskau nutzt den Konflikt zur Einflussnahme
Im Kosovo wird befürchtet, dass übermäßige Vetorechte für den künftigen serbischen Gemeindeverband den Staat blockieren könnten. Außerdem erinnert er an die Unterdrückung durch die serbischen Sicherheitskräfte, als das Gebiet noch zu Serbien gehörte. Bewaffneter Aufstand der Kosovo-Albaner 1998/99. führte zu noch massiveren Menschenrechtsverletzungen durch Serbien. Im Frühjahr 1999 reagierte die NATO mit der Bombardierung des damaligen Restjugoslawiens (Serbien und Montenegro).
Serbien musste sich daraufhin vollständig aus seiner ehemaligen Provinz zurückziehen. Von 1999 bis 2008 wurde das Gebiet von der UN-Agentur UNMIK verwaltet. 2008 erklärte sich das Land für unabhängig. Mehr als 100 Länder, darunter Deutschland, haben ein unabhängiges Kosovo anerkannt – fünf EU-Mitgliedsstaaten, darunter Spanien und Griechenland, nicht.
Die Beziehung zwischen dem jüngsten europäischen Land und Serbien blieb ungeklärt. Die diplomatischen Bemühungen des Westens in den letzten Jahren haben zu keiner nennenswerten Normalisierung der Lage geführt. Die Spannungen waren in den vergangenen Jahren mit Straßensperren und Schießereien erneut eskaliert.
Vor dem Hintergrund des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine ist die Lösung des Kosovo-Konflikts für den Westen wieder wichtig geworden. Moskau nutzt Schwächen in der politischen Ordnung verschiedener Balkanstaaten aus, um an Einfluss zu gewinnen. Belgrad ist von Russland abhängig, weil die östliche Supermacht ihr Vetorecht im UN-Sicherheitsrat nutzt, um die Aufnahme des Kosovo in die Weltorganisation zu verhindern. Serbien ist das einzige Land in der Region, das EU-Sanktionen gegen Russland nicht unterstützt.
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