Los Angeles (dpa) – Nichts Neues im Westen: Noch nie hat ein deutscher Film bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles so viel gewonnen wie „Nichts Neues im Westen“ von Netflix. Edward Bergers zweieinhalbstündiges Antikriegsepos gewann vier Kategorien bei den wichtigsten Filmpreisen der Welt.
Mit sensationellen neun Nominierungen gewann die Literaturverfilmung am Montagabend in Hollywood Trophäen für Musik, Kamera, Bühnenbild und bester internationaler Film.
„Mehr als wir je erhofft hatten“
„Was ich unglaublich schön finde – dass es vier Oscars gibt. Das ist natürlich mehr, als wir uns jemals erhofft haben einzelner Schlag. Gesicht. So wurde zum ersten Mal eine asiatische Schauspielerin mit dem Oscar für die weibliche Hauptrolle ausgezeichnet: Michelle Yeoh für „Everything Everywhere All at Once“.
„Nichts Neues im Westen“ erzählt aus der Perspektive eines jungen Soldaten vom Schrecken des Ersten Weltkriegs. Der 17-jährige Paul (gespielt vom Österreicher Felix Kammerer) zieht stolz mit seinen Freunden an die Westfront. 1917 war das aber in der Stellungsschlacht längst verschwunden. In den Schützengräben Nordfrankreichs trifft die Kriegsgewalt Paul und seine Kameraden mit voller Wucht. Statt Siege zu feiern, kämpfen junge Männer ums Überleben.
Der Film gewann zuvor sieben Bafta-Preise in London. Beeindruckend, wie viel Ehre dem Film aus England und den USA zuteil wurde: „Er hat es noch nie gegeben. Er ist ein Teil der Filmgeschichte“, schwärmte Schauspieler Daniel Brühl noch vor der Oscar-Verleihung. Er spielt Matthias Erzberger, einen deutschen Politiker, der für einen Waffenstillstand kämpft.
Die erste Verfilmung in deutscher Sprache
Nach der amerikanischen Verfilmung, die 1930 mit zwei Oscars ausgezeichnet wurde, realisierte Regisseur Berger die erste Verfilmung des Romans von Erich Maria Remarque in deutscher Sprache. Das letzte Mal, dass ein deutscher Film im Ausland so im Rampenlicht stand, war wohl 1983, als Wolfgang Petersens „Stiefel“ für sechs Oscars nominiert wurde. Der Antikriegsfilm über den Zweiten Weltkrieg errang keinen einzigen Sieg.
Zuletzt holte die deutsche Produktion 2007 mit dem Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“ den Oscar für den besten internationalen Film (damals noch „Bester Film nicht in englischer Sprache“).
„Nichts Neues im Westen“ ist drastisch und brutal. Du siehst viele Arten zu sterben. Menschen verbrennen in Flammenwerfern, ersticken in giftigen Gasen. In einer Kampfszene stirbt ein blutiger Soldat mit Dreck im Mund. Die Berliner Visagistin Heike Merker hat aus zerkleinerten Keksen und Müsli eine essbare Erde hergestellt, die mit Lebensmittelfarbstoffen eingefärbt wurde.
Die Kamera (Oscar-Gewinner James Friend) gleitet auf dem Schlamm des Grabens ganz nah an das Gesicht des Soldaten heran. Dann schwebt er wieder über den Ereignissen und zeigt uns von oben mit Leichen übersäte Schlachtfelder. Und zwischen Aufnahmen von Natur und Stille – das Sonnenlicht, das durch die Winterbäume scheint, das Rauschen des Baches.
Unvergessliche Filmmusik des exzellenten Komponisten Volker Bertelmann alias Hauschka wird Ihnen in guter Erinnerung bleiben. Als Motiv zieht sich eine dreifarbige, dunkel verzerrte Harmoniemelodie durch den Film.
im Ausland gefeiert
Während das Drama auch in Deutschland wegen seiner Betonung monumentaler Bilder und zahlreicher Abweichungen von Erich Maria Remarques literarischer Vorlage kritisiert wurde, ist „Nichts Neues im Westen“ im Ausland ein Hit.
Dazu trug auch die Verbreitung über Netflix bei. Der Film ist der vierthöchste nicht-englische Film im Streaming-Dienst. Und die Statistik bezieht sich nur auf die ersten vier Wochen nach Veröffentlichung.
Der Erfolg dieses Antikriegsfilms hat sicherlich etwas mit der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine zu tun – auch wenn „Nothing New in the West“ 2021 gedreht wurde und einen Krieg darstellt, der politisch nicht mit dem aktuellen zu vergleichen ist. Angesichts der immer starrer werdenden Frontlinie in der Ukraine werden jedoch zunehmend Parallelen zu der Art der Kriegsführung gezogen, die in „Nothing New in the West“ zu sehen ist.
Doch die Nacht der Oscars erinnert daran, dass deutsche Filmemacher und Filmtechniker im Ausland allgemein geschätzt sind. Vielleicht, und das hoffen viele, dauert es nicht noch einmal 16 Jahre, bis ein deutscher Film zumindest einen der begehrten Goldjungen nach Deutschland holt.
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