Ein kleines ukrainisches Start-up spielt nun eine immer wichtigere Rolle bei der Erkennung einfliegender russischer Raketen. KI hilft ihnen dabei.
Ein bedrohliches Dröhnen, wie ein tieffliegender Jet, gefolgt von einem singenden Knurren. Die Geräuschkulisse eines tief fliegenden russischen Marschflugkörpers klingt vertraut und doch fremd.
Unzählige Handyvideos zeigen unheimliche Szenen vorbeiziehender russischer Raketen auf ihrem Weg zu ukrainischen Zielen. Im Gegensatz zu ballistischen Flugkörpern fliegen viele Marschflugkörper die meiste Zeit ihrer Reise sehr tief, oft zwischen 20 und 100 Metern und normalerweise unterhalb der Schallgeschwindigkeit.
Die geringe Flughöhe erschwert es insbesondere Radarsystemen, sie rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Es gibt auch eine Reihe von Regionen in der Ukraine, die nicht unter Radarüberwachung stehen.
Das Start-up hilft dem ukrainischen Luftverteidigungssystem
Die ukrainische Luftverteidigung erhält nun zunehmend Unterstützung durch das KI-Projekt Zvook, ein System, das neben Marschflugkörpern auch tieffliegende Helikopter, Drohnen und Kampfjets anhand der Geräusche ihrer Triebwerke erkennen und lokalisieren kann.
Dahinter steckt eine alte Technik: Während des Zweiten Weltkriegs hätten Menschen in Horchposten versucht, die herannahenden V1-Raketen rechtzeitig zu hören, sagt Pavlo Ciupka, einer der Mitbegründer von Zvook, dem ukrainischen Online-Magazin Pravda. Mit speziellen Spiegeln wurden Geräusche aus der Hörrichtung verstärkt.
Zvook ist eine digitale Version solcher Abhörstationen: Empfindliche Mikrofone werden mit entsprechenden Spiegeln kombiniert und dann mehrere solcher Geräte zu sogenannten Mikrofonarrays verbunden. Auf diese Weise kann die Flugrichtung eines gehörten Flugobjekts bestimmt werden.
Damit die Erkennung jedoch schnell und automatisch funktioniert, musste eine spezielle künstliche Intelligenz entwickelt und auf die gewünschten Geräusche trainiert werden. Die Mikrofonarrays übermitteln nun kontinuierlich die aufgezeichneten Signale über ein gesichertes Datennetz an ein dezentrales Computernetzwerk, das die Auswertung übernimmt und die Ergebnisse im Trefferfall an die zuständigen Stellen der ukrainischen Armee übermittelt.
Anfangs lag die Erkennungsrate bei nur 50 %.
Technisch ist es eine große Herausforderung. Etwa 99,9 Prozent der Geräusche sind laut den Entwicklern von Anfang an uninteressant. Die restlichen 0,1 Prozent müssten aus dem Signal herausgefiltert und analysiert werden.
KI-Systeme können eine solche Aufgabe schnell und präzise erledigen. Aber auch sie müssen vorher trainiert werden – und dazu müssen möglichst viele Tonaufnahmen erkannt werden. Anfangs standen dafür nur Geräusche von Handyaufnahmen zur Verfügung – diese hatten jedoch nicht das gleiche Klangprofil wie das von Zwook-Mikrofonen aufgenommene Rauschen, zudem war die Qualität von Handymikrofonen schlecht.
Zu Beginn der Entwicklung lag die Erkennungsrate nur bei rund 50 Prozent – viel zu niedrig, um halbwegs fehlerfrei zu laufen. Erst nachdem es den Entwicklern gelang, die Unterstützung des ukrainischen Militärs zu gewinnen und ihre Systeme auf den Funkmasten von Netzbetreibern installieren zu dürfen, gelang es ihnen, wochen- und monatelang genug Audiomaterial von russischen Marschflugkörpern zu sammeln.
Zvool als Ergänzung mit einem wichtigen Vorteil
Erstere mussten von Menschen erkannt und isoliert werden. Aber der wachsende Pool relevanter Aufzeichnungen ermöglichte schließlich ein effektives KI-Training. Das System ist jetzt sehr zuverlässig und wird weiterhin immer besser funktionieren.
Daher ist Zvook keineswegs ein Ersatz für Radarsysteme, sondern eine wichtige Ergänzung. Es ist relativ schnell und einfach herzustellen – und im Gegensatz zu Radar, das aktiv Strahlung aussendet und zum Ziel feindlicher Angriffe werden kann, arbeiten Zvook-Mikrofone rein passiv.
Derzeit sind durchschnittlich zweistellige Zahl von Systemen im Einsatz, benötigt werden rund 600. Zvook hilft aber bereits dabei, Marschflugkörper-Routen in bestimmten Regionen grob zu verfolgen – und so dazu beizutragen, dass sie ihr Ziel nicht erreichen, sondern abgefangen werden bevor sie passieren können.
Hinweis: Eine frühere Version des Textes gab fälschlicherweise an, dass Audiobeiträge während des Zweiten Weltkriegs auf ankommende V2-Raketen lauschten. Dies waren jedoch V1-Unterschallraketen. Wir haben den Fehler korrigiert und entschuldigen uns dafür.