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Plastikverdauende Enzyme sollen Abfallprobleme lindern

Greifswald/Leipzig (dpa) – Was Yannick Branson im Labor der Universität Greifswald in den Händen hält, sieht zunächst unspektakulär aus: Schaumfetzen eines alten Kissens und eine Tube mit dunkelbrauner Flüssigkeit. Dahinter steht eine wichtige Frage: Was machen wir mit dem weltweit zunehmenden Plastikmüll? Ein Ansatz: Ähnlich wie Lebensmittel verdaut werden, könnten Enzyme Plastik in seine Bestandteile zerlegen, sodass neues Plastik recycelt werden kann.

„Das ist derzeit ein sehr häufiges oder heißes Thema“, sagt der Doktorand am Institut für Biochemie der Universität Greifswald. Er ist Teil eines Teams, das drei Enzyme gefunden hat, die Polyurethan in seine Bestandteile zerlegen können. Polyurethan findet sich zum Beispiel in Matratzen, Dämmstoffen, aber auch in Tennisschuhen – oder in Kissen, wie Bransons Schaumresten.

Enzyme zerlegen Polymere in ihre Einheiten

Nach der chemischen Vorbehandlung wird das Material zu einer Flüssigkeit mit einem etwas unappetitlichen Aussehen. Ein Teil davon kann laut Branson direkt wiederverwendet werden, der andere Teil wird durch Enzyme in seine Grundbausteine ​​zerlegt. „Insgesamt sind die Weichen auf Totalrecycling gestellt.“ Kunststoff besteht aus Molekülketten – sogenannten Polymeren. Zerlegt in einzelne Einheiten lassen sich daraus neue Kunststoffe herstellen.

Christian Sonnendecker vom Institut für Analytische Chemie der Universität Leipzig lobt die Greifswalder für ihre Suche nach Enzymen. „Beeindruckende Ergebnisse wurden ebenfalls erzielt.“ Sonnendecker selbst beschäftigt sich mit einem Stoff, der in Form von Plastikflaschen, Folien oder anderen Leichtverpackungen aus dem Alltag bekannt ist: PET (Polyethylenterephthalat).

Mit seinem Team hat er ein Enzym entdeckt, das PET besonders schnell abbauen kann. Auf einem Friedhof wurden sie fündig. Dort nahmen Wissenschaftler gezielt Proben von Blattkompost und fanden in einer davon den Bauplan für das Enzym PHL7, das PET im Labor in Rekordgeschwindigkeit abbaut.

Das sind Enzyme

Uwe Bornscheuer, Leiter der Arbeitsgruppe Biotechnologie und Enzymkatalyse in Greifswald, erklärt, dass Enzyme für den Stoffwechsel aller Lebewesen zuständig sind – seien es Menschen, Tiere, Pflanzen, Pilze oder Bakterien. Sie zerhackten zum Beispiel unser Frühstück, indem sie Stärke, Fette und Proteine ​​zerlegten. „Und das können wir im Bereich der Biotechnologie nutzen.“ Das Prinzip lässt sich auf Kunststoff übertragen.

Es gibt bereits chemische Verfahren zum Abbau von Kunststoff-Polyurethan. Allerdings benötigen sie hohe Temperaturen und hohen Druck und damit viel Energie. Die nun entdeckten Enzyme schaffen den Abbau unter sogenannten milden Bedingungen, also unter Normaldruck und bei Temperaturen bis etwa 40 Grad. „Es gibt zwei wichtige Vorteile“, erklärt Bornscheuer. „Ich spare Energie für den Prozess und habe gleichzeitig einen guten Zugang zu den Bausteinen, sodass ich ein Kunststoffrecycling erreichen kann.“

Er vergleicht die von seinem Greifswalder Team gefundenen Enzyme mit einer Nadel im Heuhaufen. Die Forscher sagten, sie hätten etwa zwei Millionen Kandidaten getestet. Bis die Ergebnisse in der Industrie genutzt werden können, vergehen laut Bornscheuer allerdings noch einige Jahre.

Millionen getestete Kandidaten

Das Team arbeitet mit dem Unternehmen zusammen. Auch Polyvinylalkohole (PVA), die als Verpackungsfolien verwendet werden, hat er bereits mit Enzymen gespalten, wie eine Gruppe um Bornscheuer kürzlich in der Zeitschrift „Angewandte Chemie“ berichtete.

In Leipzig will man nach eigener Aussage bald die eigenen Forschungsergebnisse im Rahmen eines Startups nutzen. In Frankreich wird beispielsweise bereits daran gearbeitet, PET mithilfe von Enzymen im industriellen Maßstab zu recyceln. Man erhoffe sich, dass das eigene Enzym viel schneller arbeite, sagt Sonnendecker.

Der Forscher ist sich jedoch der Grenzen der Methode bewusst. Er glaubt, dass es nicht für alle gängigen Kunststoffe eine sinnvolle enzymatische Recyclingmöglichkeit geben wird. Auch der Greifswalder Biochemiker Bornscheuer geht davon aus, dass Enzyme kein Heilmittel gegen die Plastikflut sind.

Er verweist zum Beispiel auf Plastikmüll in den Ozeanen. – Das sind die Sünden der Vergangenheit. Und derzeit werden weltweit schätzungsweise rund 360 Millionen Tonnen Plastik produziert. Tendenz steigend: „Jedes Jahr werden es rund 20 Millionen Tonnen mehr.“

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