Den Haag (dpa) – Mehrere Tausend Menschen haben in Den Haag gegen geplante Umweltauflagen der Regierung für die Landwirtschaft protestiert. Mit Fahnen, Luftballons und Bannern gingen am Samstag viele Bauern in den Zuiderpark. Auf den Transparenten stand „Keine Bauern, kein Essen“ oder „Stolz auf Bauern“. Die radikale Bauernorganisation „Farmers Defense Force“ rief zu den „größten Protesten aller Zeiten“ auf, auch rechte Organisationen und populistische Politiker mobilisierten ihre Anhänger.
Nur wenige Kilometer Luftlinie von der Bauerndemonstration entfernt demonstrierten rund 3.000 Klimaschützer der Aktionsgruppe „Rebellion gegen das Aussterben“ für deutlich strengere Klima- und Umweltschutzmaßnahmen. Sie besetzten kurzzeitig die Auffahrt, ketteten sich an und klebten am Asphalt. Die Polizei räumte die Straße.
Ein Rechtsruck ist zu erwarten
Die Proteste fanden vier Tage vor den Provinzwahlen am Mittwoch statt. Dann wird nicht nur über die Parlamente der Länder entschieden, sondern indirekt auch über die Zusammensetzung der ersten Kammer des nationalen Parlaments (vergleichbar mit dem Bundesrat). Laut Umfragen ist mit einem starken Rechtsruck zu rechnen. Der Koalition werden große Verluste prognostiziert.
Bei der Zusammenkunft der Bauern ging es nicht nur um Umweltvorschriften. Rechte Parteien riefen zum Widerstand gegen die Regierung auf. Der Rechtspopulist Geert Wilders forderte am Mittwoch, die Koalition „zu schließen“.
Trotz des Verbots machen sich Dutzende Bauern frühmorgens mit ihren Traktoren auf den Weg. Sie wurden von der Polizei angehalten, weil die Stadt aus Angst vor Unruhen Traktoren verbot und Zufahrtsstraßen und wichtige Kreuzungen mit Militärlastwagen blockierte. Auf dem Demonstrationsgelände durchbrach der Bagger jedoch die Blockade, und mehrere Lastwagen schafften es trotz des Verbots, auf den Platz zu fahren. Eine Person wurde festgenommen.
Die Behörden waren besorgt über die Gewalt, nachdem die Bauern im vergangenen Jahr wochenlang gewalttätig protestiert hatten.
30 Prozent der Viehbetriebe vor dem Ende
Anlass für den Bauernprotest sind die angekündigten Auflagen zum Schutz von Naturräumen. Die Mitte-Rechts-Koalition von Ministerpräsident Marko Rutte will die Stickstoffemissionen bis 2030 drastisch reduzieren. Anlass für diese Entscheidung war ein Urteil des Höchstgerichts aus dem Jahr 2019. Die Regierung schätzt, dass die Maßnahmen das Aus für rund 30 Prozent der Tierhaltungsbetriebe bedeuten könnten.
Die Eigentümer der rund 3.000 Betriebe, die in der Nähe gefährdeter Naturgebiete am meisten Stickstoff emittieren, sollen dazu gebracht werden, diese zu verkaufen oder zumindest ihren Viehbestand drastisch zu reduzieren. Aber auch Enteignungen sind nicht ausgeschlossen. Wir haben keine Wahl“, sagte die Ministerin für Natur und Stickstoff Christianne van der Wal. „Die Natur kann nicht warten.“
Seit Jahren wird in den europäischen Natura 2000-Schutzgebieten in den Niederlanden zu viel reaktiver Stickstoff in die Luft freigesetzt. Hauptursache ist die intensive Tierhaltung, die viel Ammoniak produziert. Dies hat dramatische Folgen für die Biodiversität. Der Boden versauert, Pflanzen und Bäume sterben ab, Brombeeren oder Brennnesseln überwuchern sie. Insekten, Vögel und andere Tiere verschwinden.
„Eine große Umstrukturierung der Landwirtschaft ist unausweichlich“
Der Agrarsektor ist riesig und einer der größten Exporteure der Welt. Rund 52.000 landwirtschaftliche Betriebe exportierten im vergangenen Jahr Waren im Wert von 122 Milliarden Euro, davon fast ein Viertel nach Deutschland.
Jahrelang wurden Umweltverschmutzungen toleriert oder mit Ausnahmen legalisiert, obwohl Grenzwerte überschritten wurden. Immer wieder wurden Schlupflöcher gefunden, nur um die landwirtschaftliche Produktion nicht einzuschränken. Die Regierung räumt nun ein, dass es ein Fehler war.
Das Urteil von 2019 hatte weitreichende Folgen: Projekte in der Nähe von Naturgebieten, in denen Stickstoff freigesetzt wird, dürfen nicht genehmigt werden. Das bedeutet, dass der Wohnungs- und Straßenbau gestoppt wird, die Industrie nicht expandieren kann und sogar die Energiewende bedroht ist. „Eine große Umstrukturierung der Landwirtschaft ist unvermeidlich“, sagte Minister van der Wal.
Doch die Landwirte suchen nach Zukunftsperspektiven und fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Sie bezweifeln auch die Notwendigkeit der Maßnahmen.
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