Tel Aviv (dpa) – Der israelische Präsident Izchak Herzog hat im erbitterten Streit um die Justizreform der rechtsreligiösen Regierung vor einer nationalen Krise gewarnt. „Wir sind in einer schlechten, sehr schlechten Situation“, warnte Herzog. Er sprach von „dem inneren Kampf, der uns trennt“.
Es muss eine Einigung mit allen Kräften erzielt werden, um Israel aus der Krise zu führen. Kritiker werfen der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor, die unabhängige Justiz des Landes zu schwächen und damit die demokratische Gewaltenteilung faktisch aufzuheben.
Tausende auf den Straßen
Trotz wiederholter Massenproteste im eigenen Land setzt die Regierung die Justizreform im Parlament fort. Nach mehrstündiger Diskussion hat die Knesset in Jerusalem am Montagabend einer Gesetzesänderung zugestimmt, die es deutlich erschweren soll, den Ministerpräsidenten für unfähig zu erklären. 61 von 120 Abgeordneten stimmten in erster Lesung dafür und 51 dagegen. Zwei weitere Lesungen sind erforderlich, bevor die Änderung in Kraft tritt. Der Entwurf sieht vor, dass für die Absetzung des Ministerpräsidenten eine Dreiviertelmehrheit im Parlament erforderlich ist. Als Begründung sollten nur gesundheitliche Gründe herangezogen werden.
Eine NGO beantragte kürzlich beim Obersten Gerichtshof, Netanjahu wegen des gegen ihn geführten Korruptionsverfahrens für unfähig zu erklären. Aus ihrer Sicht ist die Gesetzesänderung auf seine persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten und soll ihn vor Bestrafung schützen. Generalstaatsanwalt Gali Baharav-Miara warnte vor „absurden Situationen“ und einem „schwarzen Loch“, falls der Ministerpräsident nicht mehr wegen seines eigenen Fehlverhaltens angeklagt werden könne.
rechtsextreme Koalition
Da Israel keine geschriebene Verfassung hat, sondern der Staat auf einer Reihe von Grundgesetzen beruht, kommt dem Obersten Gerichtshof eine besondere Bedeutung für die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu. Präsident Herzog warnte bereits im Februar vor einem verfassungsmäßigen und gesellschaftlichen Kollaps in Israel, wenn die Regierung ihre Pläne gegen alle Widerstände durchsetze. Netanjahus Regierung hingegen argumentiert, dass der Oberste Gerichtshof derzeit zu viel politischen Einfluss habe. Die Koalition ist die rechteste, die das Land je hatte.
Für Dienstagabend sind im Parlament eine Debatte und Abstimmung über weitere Aspekte der Justizreform geplant. Die Volksvertretung soll also die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs aufheben können – und zwar mit einfacher Mehrheit. Es zielt auch darauf ab, die Fähigkeit des Gerichts einzuschränken, Gesetze aufzuheben. Kritiker sehen die Gewaltenteilung als eine Säule der Demokratie in Gefahr. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich bereits besorgt über das umstrittene Projekt geäußert.
Gibt es eine nationale Krise?
Medienberichten zufolge beabsichtigt die Regierung, Schlüsselelemente der Reform noch in diesem Monat zu beschleunigen. Ziel ist es, dass die Politik mehr Einfluss auf die Ernennung von Richtern nimmt. Netanjahus Regierung wäre dann die erste, die davon profitiert und unerwünschte Kandidaten verhindert.
Nach mehreren Massenprotesten auf den Straßen des Landes werden die Warnungen lauter, dass Israel auf eine gefährliche Staatskrise zusteuert. Am Montag warf Netanjahu den israelischen Medien vor, bewusst Falschmeldungen zu diesem Thema zu verbreiten. Allerdings kritisieren inzwischen auch traditionelle Verbündete wie die USA das Vorgehen der Netanjahu-Regierung.
Herzog sagte, er spreche mit allen Beteiligten, um eine Lösung zu finden, „die die Prinzipien des Staates Israel für viele kommende Generationen schützen würde“. Es sei „kein politischer Kompromiss, sondern eine Sisyphusaufgabe, die richtige Formel für Ausgleich und Hoffnung zu finden“.
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