In einer Zeit, in der digitale Kommunikation scheinbar jede Distanz überwindet, erschien eine Idee, die dennoch die Vorstellungskraft vieler beflügelte: Was wäre, wenn wir ein echtes, visuelles Fenster zu einem weit entfernten Ort hätten? Keine geplante Videokonferenz, sondern einen ständigen, spontanen Blick in das Alltagsleben einer anderen Metropole auf einem anderen Kontinent. Genau diese faszinierende Vision wurde mit dem „Portal“ zwischen New York und Dublin Realität.
Ins Leben gerufen wurde das Projekt vom litauischen Künstler Benediktas Gylys und realisiert durch die Zusammenarbeit verschiedener Partner, darunter der Dublin City Council, das Flatiron NoMad Partnership, die Simons Foundation, das NYC DOT Art Program und das Team von portals.org. Die Idee ist so einfach wie genial: Zwei große, runde Bildschirme, jeweils einer prominent platziert am Flatiron South Public Plaza in New York City und auf der O’Connell Street in Dublin, übertragen per Livestream in Echtzeit das Geschehen am jeweils anderen Standort. So entstand eine direkte, 24 Stunden am Tag verfügbare visuelle Brücke über den Atlantik, die Passanten beider Städte ermöglichte, spontan miteinander in Kontakt zu treten.
Das Konzept hinter dem Portal ist tiefgreifend. In einer globalisierten Welt, in der wir durch Nachrichten und soziale Medien ständig mit Ereignissen und Menschen auf der ganzen Welt konfrontiert sind, fehlt oft die unmittelbare, menschliche Verbindung. Das Portal bot genau das: einen ungefilterten Einblick in den Alltag, die Gestik und Mimik der Menschen Tausende von Kilometern entfernt. Es war eine Einladung, Neugier zu entwickeln, Vorurteile abzubauen und die Menschheit in ihrer Vielfalt und ihren Gemeinsamkeiten zu erleben. Passanten winkten sich zu, tanzten spontan, hielten Schilder hoch oder freuten sich einfach über die unerwartete Begegnung mit Gesichtern aus einer anderen Kultur.
Die Standorte waren bewusst gewählt. Der Flatiron South Public Plaza in New York, belebt und ikonisch, traf auf die geschäftige O’Connell Street in Dublin, eine der zentralen Achsen der irischen Hauptstadt. Diese belebten Orte sorgten für eine ständige Fluktuation von Menschen und somit für eine dynamische und immer wieder neue Interaktion.
Das Portal wurde schnell zu einer viralen Sensation. Videos von lustigen, herzerwärmenden oder einfach nur kuriosen Interaktionen verbreiteten sich rasend schnell in den sozialen Medien und zogen noch mehr Neugierige an die Standorte in New York und Dublin. Es schien, als hätte die Welt auf genau solch eine direkte Verbindung gewartet.
Doch die Medaille hatte auch eine Kehrseite. Die Offenheit und Unmittelbarkeit des Portals, die seine größte Stärke war, barg auch Risiken. Nur wenige Tage nach der Eröffnung kam es zu unschönen Vorfällen. Einzelne Personen nutzten die Plattform für unangemessenes Verhalten, zeigten Nacktheit oder hielten beleidigende oder geschmacklose Bilder, wie Hakenkreuze oder Darstellungen der Anschläge vom 11. September, in die Kamera. Diese Vorfälle, obwohl von einer kleinen Minderheit verursacht, sorgten für negative Schlagzeilen und führten zu einer temporären Abschaltung des Portals.
Die Organisatoren reagierten auf diese Herausforderungen. Nach einer kurzen Unterbrechung wurde das Portal wieder in Betrieb genommen, allerdings mit technischen Anpassungen, die beispielsweise das automatische Verpixeln von Bildbereichen bei zu großer Nähe zum Bildschirm ermöglichten. Zudem wurden an beiden Standorten physische Barrieren errichtet, um zu verhindern, dass Personen zu nah an die Kameras gelangen und so den gesamten Bildschirm blockieren oder für unerwünschte Darbietungen missbrauchen. Diese Maßnahmen sollten die positiven Interaktionen schützen und die negativen minimieren.
Die Geschichte des New York-Dublin Portals ist ein spannendes Beispiel dafür, wie Technologie genutzt werden kann, um Menschen auf neue und bedeutsame Weise zu verbinden. Es zeigt das Potenzial für spontane, interkulturelle Begegnungen im öffentlichen Raum und die Faszination, die von einem direkten Blick in eine andere Welt ausgeht. Gleichzeitig wirft es aber auch wichtige Fragen nach Verantwortung, digitaler Etikette und der Herausforderung auf, offene Plattformen vor Missbrauch zu schützen.
Interessanterweise war das Portal zwischen New York und Dublin nicht das erste seiner Art. Bereits zuvor gab es eine ähnliche Installation, das Telectroscope, das New York mit London verband. Und auch das Team hinter dem aktuellen Projekt hatte bereits Portale zwischen Vilnius (Litauen) und Lublin (Polen) realisiert. Dies zeigt, dass die Idee der visuellen Brücke zwischen Städten ein wiederkehrendes Thema in der Kunst und Technologie ist und den tiefen Wunsch der Menschen nach Verbindung widerspiegelt.
Obwohl das Portal zwischen New York und Dublin im September 2024 abgebaut und nach Philadelphia verlegt wurde, bleibt die Erinnerung an dieses einzigartige Experiment und die vielen positiven, überraschenden und manchmal auch herausfordernden Momente, die es geschaffen hat. Es war mehr als nur ein Bildschirm; es war ein temporäres Tor zu einer anderen Kultur, eine spielerische Einladung, die Welt als einen kleineren, vernetzteren Ort zu begreifen. Und die Idee lebt weiter, mit Plänen, Dublin zukünftig mit weiteren Städten auf der ganzen Welt zu verbinden und so neue Fenster zu schaffen, durch die wir einen Blick in das Leben anderer werfen können. Das Portal hat uns gezeigt, dass selbst im Zeitalter der digitalen Überflutung die einfache, visuelle Verbindung von Mensch zu Mensch eine einzigartige und wertvolle Erfahrung bleiben kann.