Stuttgart (dpa/lsw) – Seit das Glücksspiel in den sozialen Netzwerken beworben und beworben wird, prägt es nach Einschätzung von Ökonom Steffen Otterbach zunehmend Kinder und Jugendliche als Freizeitbeschäftigung. „Durch allgegenwärtige Werbung werden auch Kinder und Jugendliche schon früh an das Thema herangeführt“, sagt der Leiter des Glücksspielforschungszentrums der Universität Hohenheim in Stuttgart. Sie sind ohnehin viel online und können sich in dieser Zeit nicht von Werbung fernhalten.
Das gilt auch für Bandenwerbung im Stadion oder auf Plattformen wie Twitter, wo Werbung beispielsweise oft mit Punktediensten verknüpft ist. „Als Erwachsene kann es für diese Jugendlichen normal sein, sich zum Beispiel mit Sportwetten zu beschäftigen“, warnte Otterbach in einem Interview mit der deutschen Nachrichtenagentur dpa vor Beginn eines zweitägigen Glücksspiel-Symposiums an der Universität Hohenheim ( 14. und 15. März).
Erklärtes Ziel des Glücksspielstaatsvertrages ist die Spiel- und Wettsuchtprävention. „Gleichzeitig wird aber auch die Werbung für Glücksspiele und Wetten zunehmend erlaubt“, moniert Otterbach. Das Abkommen, das Mitte 2021 in Kraft trat, ermöglicht es Anbietern von Online-Glücksspieldiensten wie Online-Sportwetten oder virtuellen Spielautomaten, unter bestimmten Bedingungen eine Lizenz zum Hosten dieser Spiele zu erhalten.
Die starke Präsenz von Glücksspielwerbung und Online-Sportwetten führe zunehmend zu einer gewissen Normalisierung, warnte Otterbach. „Infolgedessen wurden Wetten irgendwann selbsterklärend. Glücksspiel wird als jedes andere Hobby angesehen.“
Der Stuttgarter Forscher wurde durch die Forschung des Wissenschaftlers Raffaello Rossi von der University of Bristol verstärkt. Daher ist Glücksspielwerbung auf Twitter in Großbritannien stark und für Kinder und Jugendliche deutlich attraktiver als für Erwachsene. Wetten auf E-Sport und Content Marketing sind besonders attraktiv und wecken starke positive Emotionen bei Menschen unter 25 Jahren.
Doch Otterbach sieht keine schnellen Lösungen. „Das Problem ist einfach nicht wirklich lösbar“, sagte er. „Grundsätzlich müssen wir uns als Gesellschaft fragen, wie viel Werbung, wie viel Glücksspiel wir in unserem Leben und in der Gesellschaft zulassen wollen.“ Wichtig ist auch, den Regierungsauftrag auf wissenschaftlicher Basis zu begleiten. Viele in der Suchtforschung seien zudem der Meinung, dass die Marktöffnung zu leichtfertig betrieben und zu wenig auf belastbare Beweise gesetzt worden sei, sagte Otterbach.
Seiner Meinung nach hätten zunächst die Erfahrungen und Daten aus Schleswig-Holstein ausgewertet werden müssen. Über ein eigenes Landesglücksspielgesetz war es dort bereits vor Vertragsabschluss möglich, Online-Glücksspiellizenzen zu erlangen.
„Wir werten diese Daten derzeit in Hohenheim aus, um zu verstehen, wie die gesetzlich vorgeschriebenen Früherkennungssysteme funktionieren“, sagte Otterbach. „Wir haben festgestellt, dass die Vorhersagekraft des Modells nicht immer zuverlässig ist. So könnte es bald Spieler geben, die durch das Raster fallen und fröhlich weiterspielen, obwohl Anbieter sie eigentlich sperren sollten.“ Die länderübergreifende Glücksspielaufsicht steht vor der Herausforderung, neue Früherkennungssysteme zu evaluieren und daraus Schlüsse zu ziehen.
Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind in Deutschland rund 430.000 Menschen von problematischem Glücksspiel oder Spielsucht betroffen. Zu den Risikogruppen zählen junge Männer unter 25 Jahren sowie Menschen mit Migrationshintergrund oder relativ geringem Einkommen.
Bis Mittwoch (15. März) wollen sich Experten beim jährlichen Symposium des Zentrums für Glücksspielforschung über Forschungsstand und Themen im Bereich Glücksspiel austauschen. Das 2004 gegründete Center for Gambling Research untersucht mit wissenschaftlichen Methoden interdisziplinäre Aspekte des Glücksspiels.
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