Aktueller Stauseestand in der Schweiz im Vergleich zu den Vorjahren. Abbildung angepasst vom Bundesamt für Energie (BFE 2023b). Kredit: Energiesicherheit in einer Netto-Null-Emissions-Zukunft für die Schweiz (2023)
Wie viele andere Länder auf der ganzen Welt hat sich die Schweiz das Ziel gesetzt, bis spätestens 2050 Netto-Treibhausgasemissionen von Null zu erreichen. Jüngste Entwicklungen wie der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die daraus resultierende Energiekrise in Europa haben bei der Schweizer Bevölkerung Sorgen um die Energiesicherheit, insbesondere in den Wintermonaten, geweckt und Fragen zur klima- und energiepolitischen Ausrichtung des Bundes aufgeworfen.
Vor diesem Hintergrund beschäftigten sich Forschende des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich eingehend mit der Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Schweiz ihr Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 erreichen und eine kontinuierliche Energieversorgungssicherheit gewährleisten kann. Ihre Erkenntnisse haben die Forscher nun in einem Whitepaper veröffentlicht: „Energiesicherheit in einer Netto-Null-Emissions-Zukunft für die Schweiz.“
„Unsere qualitative Analyse zeigt, dass die vollständige Dekarbonisierung des Schweizer Energiesystems unter bestimmten Voraussetzungen mit einem hohen Maß an Energiesicherheit vereinbar ist“, sagt Gaby Hug, ETH-Professorin für elektrische Energiesysteme. „Die Herausforderungen sind groß, aber nicht unüberwindbar.“ Hug ist Vorstandsvorsitzender des Energy Science Center und Mitglied der im vergangenen Jahr einberufenen Expertengruppe Versorgungssicherheit, die für dieses neue Whitepaper verantwortlich ist.
Netto-Null-Szenarien zeigen die Machbarkeit
Ein Energieversorgungssystem gilt allgemein als sicher, wenn ausreichend Energie störungsfrei und zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung steht. Um den Stand der Energieversorgungssicherheit der Schweiz zu ermitteln, stützte sich die Expertengruppe auf Untersuchungen der ETH Zürich und des ETH-Bereichs. Die Analyse basierte auf mehreren unabhängigen Energiesystemmodellen des ETH-Bereichs und leitete daraus vier Energieszenarien ab, um eine mögliche Netto-Null-Zukunft zu untersuchen. Diese Szenarien unterscheiden sich in den zugrunde liegenden Annahmen darüber, ob der Stromhandel mit Nachbarländern eingeschränkt wird und ob eine Kompensation von Rest-CO erfolgt2 Emissionen im Ausland sind möglich.
Simulationen aller vier Szenarien zeigen, dass die Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmesektors zwar den gesamten Energiebedarf reduzieren würde, der jährliche Strombedarf jedoch konkret von 60 Terawattstunden (TWh) auf mindestens 80 bis 100 TWh steigen würde. In jedem Szenario kann der wachsende Strombedarf hauptsächlich durch heimische erneuerbare Energiequellen und den Handel mit erneuerbarem Strom gedeckt werden.
„Wenn Elektrifizierung und der Ausbau erneuerbarer Energien gleichzeitig stattfinden, werden Verbrauch und Erzeugung im Einklang steigen und eine schnelle Dekarbonisierung möglich sein“, sagt der Energiesystemexperte. Für den Fernverkehr und den deutlich schwieriger zu elektrifizierenden Flugverkehr könnten (importierte) Bio- und synthetische Kraftstoffe den Bedarf decken. „Jedes Szenario bestätigt sowohl die technische Machbarkeit als auch die Bezahlbarkeit einer sicheren Energieversorgung mit Netto-Null-Emissionen bis 2050“, sagt Hug.
Stromhandel erhöht die Energiesicherheit
Wesentliche Voraussetzungen sind laut Expertengruppe die langfristig effiziente Integration der Schweiz in den europäischen Strommarkt und der rasche Ausbau der Stromproduktion aus verschiedenen erneuerbaren Quellen im In- und Ausland.
Christian Schaffner, Geschäftsführer des ESC, erklärt: „Je mehr erneuerbaren Strom wir produzieren, desto geringer ist unsere Abhängigkeit von Importen fossiler Brennstoffe. Dadurch verringert sich auch das Risiko von Versorgungsunterbrechungen aus monopolistischen Versorgungsquellen, wie wir sie bei natürlichen beobachtet haben.“ Gas aus Russland. Eine diversifizierte und dezentrale erneuerbare Strominfrastruktur gilt zudem als weniger schadensanfällig und würde die Energiesicherheit erhöhen, sofern ein effizienter Energiehandel gewährleistet ist.
„Deshalb braucht die Schweiz einen effizienten Zugang zum europäischen Strommarkt, in dem sie die zahlreichen, zeitlich und regional schwankenden erneuerbaren Energiequellen ausgleichen kann“, sagt Schaffner, der gemeinsam mit Kirsten Oswald die Arbeit der Expertengruppe koordiniert.
Ausbau der Winterstromproduktion
Auch bei einem deutlichen Wachstum der heimischen Produktion muss die Schweiz im Winter weiterhin Strom importieren und im Sommer exportieren. Die Energiesicherheit könnte somit durch den Ausbau winterproduktiver Quellen wie Wind, alpine Photovoltaik und saisonale Wärmespeicherung erhöht werden.
Als Option nannte das Weißbuch auch die Kernenergie. Solange die bestehenden Kernkraftwerke in Betrieb sind, können sie den Ausstieg aus fossilen Energieträgern unterstützen. Aufgrund der derzeit fehlenden politischen Rahmenbedingungen und der schwer kalkulierbaren Baukosten und Zeitpläne ist jedoch mit dem Bau neuer Reaktoren vor 2050 nicht zu rechnen.
Vorteile über das Energiesystem hinaus
Abschließend wiesen die ESC-Experten darauf hin, dass ein fossilfreies Energiesystem zwar durchaus mit Kosten verbunden sei, der Status quo jedoch kaum kostenfrei sei. Unabhängig davon, wie das Energiesystem der Zukunft aussieht, werden in den kommenden Jahrzehnten massive Investitionen in Energieanlagen erforderlich sein. Neben einer erhöhten Energiesicherheit bietet ein fossilfreies Energiesystem zahlreiche weitere Vorteile.
Wenn es der Schweiz gelingt, gemeinsam mit anderen Ländern den Ausstoß von Treibhausgasen und Schadstoffen zu reduzieren und einen weiteren Klimawandel zu verhindern, wird die Qualität von Luft, Wasser und Boden verbessert und die Lebensgrundlagen für Menschen und alle Lebewesen erhalten. „Diese Aspekte lassen sich nicht einfach in Geld umwandeln, sind aber zweifellos von höchstem Wert“, sagt Schaffner.
Dieses Whitepaper ist die zweite Analyse der Expertengruppe Versorgungssicherheit und ergänzt den Policy Brief „Schritte zur Unabhängigkeit der Schweiz von fossilen Brennstoffen“, den sie im Sommer 2022 herausgegeben hat.
Mehr Informationen:
Bericht: ethz.ch/content/dam/ethz/speci … _Energy_Security.pdf
Zitat: Energiesicherheit in einer klimaneutralen Schweiz ist möglich, sagen Experten (2023, 24. Mai), abgerufen am 24. Mai 2023 von https://techxplore.com/news/2023-05-energy-climate-neutral-switzerland-experts.html
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