Stockholm (dpa) – Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine trifft den Waffenmarkt mit voller Wucht. In Europa stieg der Import von schweren Waffen wie Panzern, Kampfflugzeugen und U-Booten in den vergangenen zwei Fünfjahresperioden um 47 Prozent, von europäischen Nato-Staaten sogar um 65 Prozent. Das geht aus einem neuen Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri vom Montag hervor. Die Ukraine hat sich plötzlich zu einem der größten Waffenimporteure der Welt entwickelt.
Dagegen ging das weltweite Volumen der Waffenlieferungen zwischen den Ländern um 5,1 Prozent zurück. Die USA bleiben absoluter Branchenführer, Deutschland einer der fünf größten Anbieter.
Waffentransfers sind weltweit zurückgegangen
„Obwohl der Waffenhandel weltweit zurückgegangen ist, hat der Handel nach Europa aufgrund der Spannungen zwischen Russland und den meisten anderen europäischen Ländern stark zugenommen“, sagte Pieter Wezeman, ein Sipri-Forscher. „Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine wollen die europäischen Länder mehr Waffen importieren – und zwar schneller.“ Dem Bericht zufolge stammen mehr als die Hälfte (56 Prozent) der von diesen Ländern importierten Waffen aus den USA und 5,1 Prozent aus Deutschland.
Traditionell sprechen die Daten von Sipri von langfristigen Trends. Betrachtet man jedoch nur die Entwicklung von 2021 bis 2022, so haben sich die europäischen Rüstungsimporte von Jahr zu Jahr fast verdoppelt. Hauptgrund dafür sind laut Wezeman die Importe der Ukraine nach der russischen Invasion im Februar 2022: Nachdem das Land seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 fast keine Waffen mehr aus dem Ausland importiert hatte, wurde es 2022 zum drittgrößten Importeur von US-Militär Hilfe und Europa auf der ganzen Welt hinter Katar und Indien.
Deutschland ist der drittgrößte Waffenlieferant der Ukraine
Im langfristigen Zeitraum von 2018 bis 2022 liegt die Ukraine mit einem Anteil von 2,0 Prozent an den weltweiten Waffenimporten auf Platz 14 der Importländer. Deutschland ist Ihr drittgrößter Waffenlieferant hinter den USA und Polen.
„Vor 2022 gab es kaum Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie waren auf einem sehr niedrigen Niveau – vor allem angesichts ihrer Größe und der Tatsache, dass sie sich seit 2014 im Krieg befinden“, sagte Wezeman der Deutschen Presse-Agentur. Dies ist der Teil, der sich erheblich geändert hat. „Der zweite Teil ist, dass die europäischen Staaten in den letzten zehn Jahren, insbesondere seit 2014, erheblich auf die ihrer Ansicht nach sehr stark zunehmende Bedrohung durch Russland reagiert haben.“ Die steigende Nachfrage aus den meisten europäischen Ländern dürfte sich in den kommenden Jahren deutlich stärker auf die Importzahlen auswirken.
Die USA trennen sich von Russland
Die USA und Russland sind seit Jahrzehnten die weltweit dominierenden Waffenlieferanten. Doch der Abstand zwischen ihnen wächst: Während die USA mit einem auf 40 Prozent gestiegenen Anteil noch immer die absolute Nummer eins unter den Rüstungsexporteuren sind, ist Russland mit 16 Prozent deutlich zurückgefallen. Angesichts des starken Zuwachses von 11 Prozent auf Platz drei Frankreichs und weitaus mehr Großaufträgen als Russland hält es Sipri nicht für ausgeschlossen, Russland in Zukunft überholen zu können.
Das Volumen der russischen Waffenexporte sank um 31 Prozent im Vergleich zu den Zeiträumen 2013 bis 2017 und 2018 bis 2022, mit einem besonders starken Rückgang im Zeitraum 2020 bis 2022. Forscher glauben, dass sich dieser Trend aufgrund des Krieges in der Ukraine fortsetzen wird: Russische Streitkräfte sie einerseits nur benötigte Waffen, andererseits dürfte die Nachfrage aus anderen Ländern aufgrund von Sanktionen gegen Russland und zunehmendem Druck des Westens auf diese Länder gering bleiben.
4,2 Prozent der gesamten Rüstungsexporte aus Deutschland
Die Top-5-Waffenexporteure werden nach wie vor von China und Deutschland besetzt. Demnach ist das Volumen der deutschen Exporte im Fünfjahresvergleich um 35 Prozent gesunken, sodass die Bundesrepublik nun einen Anteil von 4,2 Prozent an den weltweiten Rüstungsexporten hat – nach 6,1 Prozent in der Vorperiode. Die Länder des Nahen Ostens waren die größten Abnehmer deutscher Waffen.
„Bei Deutschland haben wir solche Schwankungen schon erlebt. Das ist oft mit einer relativ geringen Anzahl von Großaufträgen für Marineausrüstung, insbesondere U-Boote und Fregatten, verbunden“, sagte Wezeman. Bei mehreren Großprojekten kam es zu Verzögerungen, etwa bei U-Boot-Lieferungen in die Türkei, nach Israel und Singapur. „Auf dieser Grundlage wäre es nicht verwunderlich, wenn die deutschen Rüstungsexporte wieder steigen würden.“
Greenpeace spricht über den Skandal
Die Friedensorganisation Greenpeace sieht Deutschlands Rolle auf dem Rüstungsmarkt kritisch. „Deutschland gehört immer noch zu den fünf größten Rüstungslieferanten der Welt und es bleibt ein Skandal“, sagte Abrüstungsexperte Alexander Lurz. Die Bundesregierung muss sich diplomatisch für Mäßigung einsetzen. „Weitere Lieferungen von Kampfpanzern, Kriegsschiffen und Kampfjets befeuern weiterhin globale Krisenherde“, beklagte Lurz.
Die Sipri-Daten beziehen sich auf die Menge der Waffenlieferungen, nicht auf ihren finanziellen Wert. Da das Volumen je nach Auftragslage von Jahr zu Jahr stark schwanken kann, konzentriert sich das unabhängige Institut nicht auf einzelne Jahre, sondern auf Fünfjahreszeiträume. Diesmal machten sie wegen des Krieges eine Ausnahme für die Ukraine.
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