New Delhi (dpa) – Boykott – dieses Wort weckt bei Henry Maske traurige Erinnerungen. „Mich hat es 1984 erwischt“, sagte der ehemalige Boxstar wehmütig: „Nicht nur mich, sondern viele.“
Ein Großteil des Ostblocks boykottierte die Olympischen Spiele in Los Angeles, nachdem sich westliche und islamische Länder vier Jahre zuvor aus den Spielen in Moskau zurückgezogen hatten, um gegen die damalige sowjetische Invasion in Afghanistan zu protestieren. „Sport wird immer sehr politisch eingesetzt“, sagte Maske der Deutschen Presse-Agentur, „auch wenn es am Ende nichts an der Situation ändert.“
Aus Protest: Rückzug aus der Frauen-WM
Der Olympiasieger von 1988 und ehemalige Profi-Weltmeister ist daher besorgt über die aktuellen politischen Intrigen im Boxsport. Etwa ein Dutzend Nationen werden bei den Amateur-Boxweltmeisterschaften der Frauen im indischen Neu-Delhi, die am 15. März beginnen, nicht antreten, und höchstwahrscheinlich nicht bei den Titelkämpfen der Männer danach im usbekischen Taschkent. Darunter sind die USA, Polen, Großbritannien, die Ukraine und Deutschland.
Der Grund ist klar – auch wenn nicht alle das Wort „Boykott“ offen sagen: Es ist vor allem ein Protest. Bei den Weltmeisterschaften können russische und weißrussische Athleten unter ihrer Nationalflagge starten und bei einem Sieg auch die Nationalhymne hören. Damit es in der Ukraine nicht zu einem Angriffskrieg kommt, der seit mehr als einem Jahr andauert.
Der Russe ist Präsident des Weltverbandes
Ein genauerer Blick auf die Strukturen im Iba-Weltverband macht deutlich, warum die vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) empfohlenen Sanktionen dort fallen. An der Spitze steht der Russe Umar Kremlev als umstrittener Präsident, und der von der russischen Regierung kontrollierte Sponsor Gazprom lässt viel Geld in die Kassen des Verbandes fließen. Und das IOC, das derzeit wegen der geplanten Rückkehr Russlands in die Weltsportszene unter bestimmten Bedingungen mit zahlreichen Kritikern konfrontiert ist, streicht der Kreml nur allzu gern eine.
Die IBA ist seit 2019 vom IOC suspendiert, und der Orden des Rings um Präsident Thomas Bach kritisiert unter anderem die unseriöse Führung des Vereins, mangelnde finanzielle Transparenz und mangelnde Integrität in Schiedsverfahren. Aus diesem Grund wurde Boxen für die Spiele 2028 in Los Angeles aus dem olympischen Programm gestrichen. Die Qualifikation für Paris 2024 und die olympischen Kämpfe in der französischen Hauptstadt liegen – ebenso wie die Olympischen Spiele in Tokio – in den Händen einer vom IOC eingesetzten Arbeitsgruppe.
Eine neue globale Vereinigung gründen?
Um die Zukunft des olympischen Boxens zu retten, wollen viele nationale Verbände einen neuen Weltverband gründen. Es ist kein Zufall, dass es dieselben sind, die bei der Weltmeisterschaft in Indien und Usbekistan fehlen. Die Fakten dazu werden, wie gesagt, Ende März nach der Sitzung des IOC in Lausanne geschaffen.
„Was passiert, wenn alle aufwachen und feststellen, dass Olympia mit Iba vorbei ist? Der eine oder andere glaubt noch, dass ein Wunder passieren wird“, sagte Sportdirektor Michael Müller vom Deutschen Boxverband. Der DBV begründet seinen offiziellen Rückzug aus der WM mit theoretischen Trainingsgründen. Das deutsche Boxteam wolle sich voll und ganz auf das europäische Olympia-Qualifikationsturnier im Juni im polnischen Krakau konzentrieren, betonte Müller.
Klar ist aber auch, dass das Bundesinnenministerium bei einem Start der WM die Kosten für die Registrierung der sog Weiterhin gilt der Erlass des Sportministeriums, wonach keine Subventionen gezahlt werden, wenn Russen und Weißrussen uneingeschränkt an Wettkämpfen teilnehmen. So müssen beispielsweise die Schachspieler der deutschen Mannschaft ohne Subventionen bei den jeweiligen Turnieren dabei sein.
Amateur-Box-Europameisterin Stefanie von Berge kann den Rückzug aus der WM „verstehen und nachvollziehen“, wie der Weltergewichtler der Zeitung „Welt am Sonntag“ sagte. Zumal ihr Vater Serge in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geboren wurde. Wäre die Entscheidung anders ausgefallen, hätte sie gegen eine russische Gegnerin gekämpft und den Wettkampf nicht boykottiert. „Wenn ich boxe, repräsentiere ich auch mein Land und mein Land profitiert auch von meinen Erfolgen“, sagte sie, „also hätte ich nicht die Arroganz, nein zu sagen, ich boxe jetzt nicht.“
Ein Boykott sollte immer das letzte Mittel sein, sagte Maske. Er halte es für „verwerflich“, dass die (Sport-)Politik „nicht in der Lage ist, dies auf einer anderen Ebene zu klären“.
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